Erich Satter Philosoph

Leseprobe

"Lexikon freien Denkens":

Epikureer, die [Anhänger der Schule des griech. Philosophen Epikur von Samos 341-270]

Im Unterschied zu einem unkritischen aktiven Hedonismus, als dessen Begründer der Grieche Aristipp von Kyrene (435-355) gilt, vertreten E. einen passiven Hedonismus, der sich nicht nur auf die sinnliche Lust beschränkt, sondern auch geistige Qualitäten mit einbezieht. Dieser passive - Herbert Marcuse (1898-1979) bezeichnet ihn als negativen Hedonismus - versteht Lust vor allem als frei sein von Unlust und der Erkenntnis, das Ethik lebbar sein muss. Dazu Epikurs Lehrsatz: "Man kann nicht in Freude leben, ohne vernünftig edel und gerecht zu leben, aber auch umgekehrt kein vernünftiges, edles und gerechtes Leben führen, ohne in Freude zu leben. Man kann es aber nicht, wenn jene Voraussetzungen fehlen".

Epikurs "Philosophie der Freude" ist eine bis ins letzte verfeinerte Lebenskunst, die dem Menschen nicht nur Trost und Bereicherung bietet, sondern ihn auch mit einer diesseits orientierten Sinnerfüllung beglücken kann. Ihre Entstehung verdankt sie der Wende im Hellenismus, als die Reflexion des Daseinsinns mit der platonischen Staatslehre zu Ende ging. Nicht mehr das Glück des Staates stand im Vordergrund, sondern das Individuum. Damit kam es zur Privatisierung des Glücksbegriffs. Der Epikurismus kennt zwei "höchste Güter", die sich aber gegenseitig bedingen: "Lust" und "Seelenruhe" (Ataraxie). Unter Lust wird jedoch nicht nur Lust am Essen, Trinken und Sexualität verstanden, sondern auch Freude an geistigen Dingen sowie in der Freundschaft. Mit der Einsicht, dass das Einzelne der Sinn des Ganzen ist, privatisieren E. den Glücksbegriff. Jeder entscheidet über sein Glück selbst. Reichtum der keine Grenzen hat, ist eine große Armut. Für E. sind nur solche Dinge wahre Güter, welche auch zu erreichen sind. In der Lust gibt es allerdings keine qualitative, sondern nur quantitative Unterschiede. Geistige Lust ist damit für E. nur deshalb höher zu bewerten, weil das Quantum gesteigert wird und frei sein von Unlust ist absolute Obergrenze. Der Orgasmus wird jedoch, von dem der Sinnlichkeit mehr zuneigenden Epikur nur deshalb nicht favorisiert, weil er nicht dauerfähig und nicht beliebig wiederholbar ist. Glücksbedroher sind "Furcht", "Begierde" und "Schmerz".

Die "Furcht" bezieht sich dabei hauptsächlich auf die Furcht vor dem Tode und die Furcht vor Göttern. Zur Todesfurcht schreibt Epikur: "Wenn wir da sind, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr da". Eine Existenz von Göttern wird zwar bei den frühen E. noch nicht explizite ausgeschlossen, jedoch ihre Einflussnahme auf das menschliche Schicksal bestritten. Damit sind Götter auch nicht zu fürchten und die Macht der Tempelpriester ist gebrochen.

"Begierde", die zweite Quelle von Unlust wird in drei Arten unterschieden: "notwendige", "natürliche" und "weder notwendig noch natürlich".

1. Notwendige Begierden bereiten immer Unlust, wenn sie nicht befriedigt werden, z. B. Hunger und Durst.

2. Natürliche Begierden müssen nicht in jedem Fall befriedigt werden, weil sie wieder vergehen, z. B. der Sexualtrieb.

3. Weder notwendig noch natürlich sind Begierden, welche sich unsere Vernunft nur einbildet, z. B. der Hang zum Luxus.

Das schwierigste Problem bereitet die Vermeidung von Schmerz, was nicht immer möglich ist. Dabei kann jedoch auch der Schmerz noch erstrebenswert sein, aber nur wenn er größere Lust zur Folge hat oder gar kompensierend wirkt.

E. vertreten die Meinung, dass Glück - was für sie verfügbare Lust ist -, für jedermann erreichbar ist. Dazu nochmals Epikur: "Viele, die zu Reichtum gelangt sind, gewannen kein Mittel gegen ihr Leiden, sondern nur den Wechsel zu noch größeren Qualen".

Unter dem Einfluss von Demokrit (460-371) dachte sich Epikur und damit auch die frühen E. die Seele aus Atome bestehend, welche ebenso wie der Körper nach dem Tode zerfallen. Aber obwohl noch einem Seelenglauben verhaftet, schlussfolgern sie korrekt, wenn sie damit keine Angst vor Strafe in einem imaginären Jenseits verbinden. Sie sind überzeugt, dass sie nur einmal leben und es ist damit für sie wichtig in diesem Leben die höchste Glückseligkeit zu erreichen. Bereits die E. des Altertums waren antideterministisch gestimmt und die modernen E. haben sich auch von jeglichem Seelenglauben gelöst. Da jedoch der Mensch auch keiner Vorherbestimmung mehr unterworfen ist, wächst ihm damit durch seinen freien Willen eine besondere ethische Verantwortung zu.

Lange Zeit wurde der Freigeist Epikur als ein zügelloser Genussmensch fehlgedeutet und dieses Vorurteil auch auf seine Philosophie übertragen, teilweise besteht es heute noch. Eher das Gegenteil war der Fall. Epikurs Ziel war zwar ein ungetrübter Genuss des Daseins, welches er aber nicht nur für sich suchte, sondern auch für seine Freunde und Mitmenschen. So wird von Dankbarkeit gegenüber seiner Eltern berichtet, von der Wohltätigkeit seiner Brüder gegenüber, Milde und Achtung, welche er auch den Sklaven entgegenbrachte, die zusammen mit Frauen - ziemlich ungewöhnlich in jener Zeit - seiner Schule angehörten.

Ein überspitzter Gerechtigkeitssinn hielt ihn von jeder politischen Tätigkeit ab, jedoch wird sein liebevolles Verhalten gegenüber allen Menschen gerühmt. In der Antike hatte Freundschaft einen hohen Stellenwert. In der durchgängig anthropozentrischen Weltsicht der E. wurde sie fast zu einem Kult und sicherte dort noch das Zusammenleben, wo staatliche Gesetze an ihre Grenzen stießen. In der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten sicherten sie sich einen Geborgenheitsraum in dem sie durch Bildung und Weisheit nach Glückseligkeit - nach Eudämonia strebten. Bei diesem Streben nach der individuellen Erfüllung des Lebens blieb ihnen jeglicher Aberglaube, aber auch alles Magische und Mystische fremd. Der schlichte ethische Grundkonsens für das Zusammenleben in der Gemeinschaft ist in einem der 40 Hauptlehrsätze Epikurs zusammengefasst und lautet: "Das der Natur gemäße Recht ist eine den Nutzen betreffende Übereinkunft, einander nicht zu schädigen noch voneinander Schaden zu leiden".  

ERICH SATTER

 

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