Erich Satter Philosoph

Leseprobe

"Lexikon freien Denkens":

Ethik, die [griech.: ta ethika - die Sittenlehre]

E. ist ein Terminus der Praktischen Philosophie und bedeutet"Wissenschaft der Moral" bzw. die Wissenschaft über die verschiedenen Moralvorstellungen religiöser, weltanschaulicher sowie philosophischer Art. E. darf  nicht mit Moral verwechselt werden, wie es in der Alltagssprache häufig geschieht. Wobei jedoch zugestanden werden muss, dass die Unterscheidung zwischen Moral und E. nicht immer einfach ist, weil facettenartige Übergänge zwischen diesen beiden Disziplinen bestehen.

Die Moralentwicklung ist gekennzeichnet durch zwei Ausgangspunkte, welche sich auch in der E., als der Wissenschaft der Moral niederschlagen. Eine weitgehend emotional dominierte Richtung führt zur Religion bzw. wurde in den Religionen ideologisch ausgeformt, während eine epistemisch-kognitive Position die philosophische E. bestimmt. Beide Richtungen haben jedoch ihre Quelle in der"Goldenen Regel":"Was Du nicht willst, was man Dir tut, das füge auch keinem anderen zu".

Die älteste vollständige Ethikkonzeption in der Geschichte der Menschheit geht auf Aristoteles (384-322) zurück, der mit seiner"Nikomachischen Ethik" auch erstmals eine Trennung zwischen theoretischer und praktischer Philosophie versuchte. In der spekulativen Philosophie zeichnen sich dann schwerpunktmäßig drei unterschiedliche Grundpositionen der Moralwissenschaft ab: eine E. des Guten, eine E. der Pflicht, und eine E. der Nützlichkeit.

1. Die E. des Guten sieht den Sinn des menschlichen Daseins in der Glückseligkeit, sie wird deshalb auch als Eudämonistische Ethik bezeichnet. Ein  repräsentativer Vertreter dieser Richtung ist Epikur (342-271). Sein Imperativ lautet:"Man kann nicht in Freuden leben, ohne vernünftig, edel und gerecht zu leben, aber auch umgekehrt kein vernünftiges, edles und gerechtes Leben führen, ohne in Freuden zu leben. Man kann es aber nicht, wenn jene Voraussetzungen fehlen".

2. Die E. der Pflicht, Deontologische Ethik genannt, geht hauptsächlich auf  Immanuel Kant (1724-1804) und seinen Kategorischen Imperativ zurück:"Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde". Sie reduziert sich einerseits im Christentum auf eine Gesinnungsethik und wird andererseits, durch die Forderung Max Webers (1864-1920) nach einer Wertfreiheit in der Wissenschaft, auf eine Verantwortungsethik erweitert.

3. Die E. der Nützlichkeit, ist der im angelsächsischen Raum entstandene Utilitarismus, sein Inhalt bezieht sich auf"das größte Glück der größten Zahl". Es ist der erste Versuch einer rationalen Ethikbegründung, was dann zumindest teilweise auch gelingt, weil sich aus dem eher indifferenten Handlungs-Utilitarismus ein konsequentialistischer Regel-Utilitarismus mit Präferenzen entwickelte. Als Vertreter eines modernen Präferenz-Utilitarismus sind Dieter Birnbacher (*1946) und Peter Singer (*1946) zu nennen. Dieser positive Utilitarismus erhält durch den kritischen Rationalisten Karl Raimund Popper (1902-1994) aber eine neue ethische Dimension, wenn er aus dem positiven einen negativen Utilitarismus entwickelt, bei dem dann nicht mehr das größte Glück der größten Zahl das Ziel ist, sondern das geringste Leid, also Leidverminderung, statt Glückmaximierung.

Der Vollständigkeit halber sind hier noch die Wertethiker Max Scheler (1874-1928), Nicolai Hartmann (1882-1950) und Hans Reiner (1896-1991) zu nennen, deren Positionen jedoch wegen ihrer Nähe zum Naturrecht an Bedeutung verloren haben. Der ihnen zugrunde liegende Terminus Wert, wurde von Rudolf Hermann Lotze (1817-1881) in die Philosophie eingeführt und lautet in der Definition von Paul Menzer (1873-1960):"ein von den Menschen gefühlsmäßig als übergeordnet Anerkanntes, zu dem man sich anschauend, anerkennend, verehrend, strebend, verhalten kann".

 

Mehr Klarheit in der Begrifflichkeit bringt die Analytische Philosophie Sie unterteilt in Normative, Deskriptive und Meta-Ethik.

Unter Normativer E. ist eine moralwissenschaftliche Theorie zu verstehen, die sich auf festgefügte Grundsätze bezieht, wie sie sich aus der Erfahrung entwickelt haben und nun komprimiert in den Mythen als geronnene Lebensgeschichte weiterleben. Mit dem Begriff Norm wird ein Satz bezeichnet, welcher ein Sollen zum Ausdruck bringt. Während sich Rechtsnormen nur auf Gebote und Verbote beziehen, sind ethische Normen Wertaussagen. Festgesetze Normen lassen keine relativierende Situationsbeurteilung zu und sind deshalb auch, - aber jedoch nicht ausschließlich, -tragende Säulen eines Fundamentalismus, wie wir in aus dogmatischen Religionen und dogmatisierenden Weltanschauungen kennen. Der Dekalog im Alten Testament und die Bergpredigt im Neuen Testament der christlichen Bibel sowie die sittlichen Handlungsanweisungen der islamischen Bibel, - des Korans, - sind Beispiele für eine normative Ethik. Aber auch die Handlungsanweisungen, welche sich aus einem Gruppenbewusstsein heraus in der"Goldenen Regel" entwickelt haben, zählen zur normativen Ethik.

Eine Deskriptive E. ermittelt selbst keine Normen, sondern bemüht sich um eine möglichst wertfreie Beschreibung eines Normensystems. Dieses System kann sowohl aus direkten wie auch aus indirekten Normen bestehen. Unter direkten Normen werden solche ethischen Normen verstanden, welche sich aus der Erfahrung im sozialen Zusammenleben von der"Goldenen Regel" ableiten lassen. Zu indirekte Normen werden sie, wenn sie aus der realen Welt auf einen metaphysischen Überbau projiziert und dann als transzendente Sollensforderungen, wieder in die reale Welt zurückgeworfen werden.

Die Meta-Ethik bildete den methodologischen Überbau, welcher zwischen ethischem Anspruch und objektiver Wirklichkeit zu vermitteln hat. Sie verbleibt im theoretischen Bereich und ist weitgehend sprachphilosophisch bestimmt. So werden in der Analytischen Philosophie die Zuordnungskriterien neu definiert. Zunächst kommt es zu einer Trennung zwischen kognitiver und non-kognitiver E. Danach wird die Kognitive E. wiederum in einen emotionalen und einen intellektuellen Intuitionismus unterteilt.

Nach der Theorie einer non-kognitivistischen E., wie sie hauptsächlich im Positivismus vertreten wird, sind moralische Urteile weder wahr noch falsch und können auch keine Erkenntnisse vermitteln. Der ethische Kognitivismus geht zwar auch davon aus, dass moralische Urteile weder wahr noch falsch sind, schließt aber intuitive Erkenntnisse nicht aus. Auf diesem Hintergrund versuchte Viktor Kraft (1880-1975), - er stand dem"Wiener Kreis" nahe, - neben dem Utilitarismus eine rationale und ideologiefreie Ethik zu begrün-den. Bei einem emotionalen Intuitionismus soll dies durch"Wertfühlen" (Nicolai Hartmann) erreicht werden und bei einem intellektuellen Intuitionismus durch Werterkennen. Letzteres ist die Position des Briten Georg Edward Moore (1873-1958) auf den auch der Begriff eines"Naturalistischen Fehlschlusses" zurückgeht. Eine der wichtigsten Erkenntnisse in der modernen Moralwissenschaft. Ein solcher Fehlschluss liegt vor, wenn jemand glaubt, aus Tatsachen in der Natur, Werte für das menschliche Zusammenleben ableiten zu können. Also einen Kategorienfehler begeht,  indem er aus einem"Sein" (einer Tatsache) auf ein"Sollen" (einen Wert) schließt.

Die Unterscheidung zwischen Moral, als gute Sitte und Ethik, als Wissenschaft der Moral, bringt am überzeugendsten der Neopositivist und Begründer des Wiener Kreises, Moritz Schlick (1882-1936), auf den Punkt, wenn er schreibt:"Solange der Ethiker mit seinen theoretischen Fragen beschäftigt ist, muss er vergessen, dass er an dem Gegenstand seines Forschens außer dem rein Erkenntnismäßigen Interesse auch noch ein rein menschliches Interesse hat. Denn für ihn gibt es keine größere Gefahr, als aus einem Ethiker zu einem Moralisten zu werden, aus einem Forscher zu einem Prediger".

 

Während die emotional bestimmte Richtung der E. über die Religion, in den verschiedenen moralischer Ausformungen nach den Inhalten der einzelnen Weltreligionen, - bei uns vorwiegend durch das Christentum geprägt, - quasi Allgemeingut geworden ist, bleibt die philosophische Richtung leider weitgehend einem akademischen Kreis vorbehalten. Dieses Defizit hat ein ideologiegetränktes Bildungssystem zu verantworten, welches einen konfessionellen Religionsunterricht einem Ethikunterricht vorzieht.

 

ERICH SATTER

 

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